...dass das Publicum ein Recht auf den Beirath rechtskundiger Sachwalter in freier Concurrenz hat...

(Rudolf Gneist, Freie Advocatur, 1867)

Zu Leben und Werk Max Friedlaenders

In Bromberg (Westpreußen), wo Friedlaender am 28. Juni 1873 geboren wurde, verbrachte er nur seine Kindheit. Die Familie zog bald nach Frankfurt/Main und sein Jurastudium begann Friedlaender – auf ausdrücklichen Wunsch des Vaters – 1890 in Genf mit dem Ziel, auch seine Französischkenntnisse zu verbessern. Schon im Jahr darauf wechselte er nach Heidelberg, ging dann nach Straßburg, verbrachte ein Semester in Berlin und zog im Herbst 1893 schließlich nach Leipzig. Der Ruf der Juristenfakultät war seinerzeit hervorragend und zog Studenten aus dem ganzen Reich und sogar dem Ausland nach Leipzig: Als Friedlaender dort seine Dissertation schrieb, war er einer von fast 1000 (!) Jurastudenten, die wiederum ein Viertel der gesamten Studentenschaft ausmachten. Friedlaender zog dann im Sommer 1894 nach München und kam nur noch einmal kurz an die Fakultät zurück, um mit Binding und Wach die vor Drucklegung seiner Dissertation noch erforderlichen Textänderungen zu besprechen. Die Schrift ist 1895 in der Reihe „Ausgewählte Doktordissertationen der Leipziger Juristenfakultät“ erschienen. Im gleichen Jahr legte Friedlaender in München sein Referendarexamen ab. Die bayerische Hauptstadt sollte auch seine Heimat werden – bis er von den Nationalsozialisten gezwungen wurde, Deutschland zu verlassen.

Nachdem Friedlaender als einer der Jahrgangsbesten das zweite Staatsexamen absolviert hatte, ließ er sich 1899 als Anwalt nieder. Selbst eine nur kursorische Würdigung seines Lebenswerks kommt nicht ohne die Aufzählung der von ihm innegehabten Funktionen aus: Er war Vorstandsmitglied der RAK München 1911 bis 1927, Mitbegründer des Bayerischen Anwaltsverbandes und dessen Vorsitzender 1919 bis 1933 sowie Mitglied des DAV-Vorstandes 1924 bis 1933. Am Rande bemerkt: Die Verleihung von Ehrentiteln wie „Justizrat“ oder gar „Geheimer Justizrat“ an Anwälte hat Friedlaender immer für verfassungswidrig gehalten und konsequent auch für sich abgelehnt.

Zu fragen bleibt, was er als Vertreter seines Berufsstandes tatsächlich bewirkt hat. Hierfür gibt es ein prägnantes Beispiel: Wegen der stark anwachsenden Zulassungszahlen beschäftigte sich der Würzburger Anwaltstag 1911 mit der Frage „Empfehlen sich gesetzgeberische Maßnahmen gegen eine Überfüllung des Anwaltstandes?“. Der Druck von Seiten der Basis war groß. Dennoch gelang es dem Berichterstatter Max Friedlaender, einen Stimmungsumschwung herbeizuführen – die Delegierten lehnten letztlich mit deutlicher Mehrheit jede Beschränkung der freien Advokatur ab. Seine Argumente haben übrigens nichts von ihrer Aktualität verloren: Selbst eine Übertragung der Zulassungsbefugnis auf die Kammervorstände hielt er für gefährlich, weil damit den Berufsausübenden die Macht eingeräumt werde, nach ihrem Ermessen anderen den Zutritt zu diesem Beruf zu versagen. [1] Dabei verkannte Friedlaender die durch den permanenten Zuwachs entstehenden Probleme keineswegs. Er hat aber immer nach Lösungen gesucht, die mit seinem Verständnis von „freier Advokatur“ in Einklang zu bringen waren: So kämpfte er vehement gegen Bestrebungen des Gesetzgebers, die Tätigkeitsgebiete von Anwälten einzuschränken und forderte gleichzeitig eine angemessene Entlohnung vor allem der außergerichtlichen, streitverhütenden Rechtsberatung. Auch zur Spezialisierung und zur Werbung vertrat er moderne Ansichten: Er befürwortete nicht nur die Ausweitung der Fachanwaltschaften, sondern wollte grundsätzlich die Bekanntgabe von Spezialkenntnissen – ohne den Nachweis einer förmlichen Qualifikation – erlauben. [2]

Am wirkungsmächtigsten waren wohl die drei in den Jahren 1908 bis 1930 erschienenen (gemeinsam mit seinem Bruder Adolf verfassten) Auflagen des Kommentars zur Rechtsanwaltsordnung. „Der Friedlaender“ hat – beginnend mit der 2. Auflage 1919 – erstmals das bis dahin nicht kodifizierte Standesrecht in einem „Exkurs II zu § 28“ unter der Überschrift „Kleiner Ehrenkodex“ [3] zusammengefasst, der Vorläufer der „Richtlinien für die Ausübung des Anwaltsberufs“ von 1929 und damit auch der „Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts“ von 1973. Von A (wie „Ablehnungsgesuche, leichtfertige“) bis Z (wie „Zweigbüros“) war dort die seinerzeit herrschende Standesethik in 75 Einzelpunkten festgehalten und ausführlich erläutert.

Die „Machtergreifung“ veränderte Friedlaenders Leben nachhaltig. Zwar konnte er, obwohl er als „Nichtarier“ galt, seine Zulassung behalten, weil er sie schon vor dem 1. August 1914 erworben hatte. [4] Ein Rückgang der Praxis war jedoch die logische Folge der öffentlichen Stigmatisierung. Reichsjustizminister Franz Gürtner, auf dessen Unterstützung Friedlaender nach einem längeren Vier-Augen-Gespräch im Oktober 1933 gehofft hatte, erwies sich als große Enttäuschung. Friedlaender blieb zunächst in München und begann sogar, an einem Handbuch des gesamten deutschen Anwaltsrechts zu schreiben – 1100 Seiten waren bereits verfasst, als er das Projekt aufgab (das Manuskript wurde nach seiner Auswanderung vernichtet). Oft bat man ihn, sein Wissen zur Verfügung zu stellen, jedoch ohne dass dies nach außen erkennbar wird (er nannte es „Plädieren hinter der Szene“). Nach wie vor ist er aber auch öffentlich in Erscheinung getreten, etwa als Anwalt seines Kollegen und Freundes Felix Herzfelder, für den er in den Jahren 1934 bis 1937 jeweils bis zum OLG München zwei Prozesse gegen den durch den jungen Münchener Anwalt Fritz Ostler vertretenen Schweitzer Verlag führte, der Herzfelder als Autor des Staudingerschen Erbrechtskommentars nicht nur loswerden, sondern auch um das vertraglich ihm zustehende Honorar bringen wollte. [5]

Im November 1938 – unmittelbar nach der Reichspogromnacht – gelang Friedlaender mit viel Glück und der Hilfe seines in der Schweiz lebenden Neffen die Ausreise, im März 1939 siedelte er nach England um, wo er schließlich bei London einen dauerhaften Wohnsitz fand. Nach 1945 war sein Rat – vor allem in standesrechtlichen Dingen – auch in Deutschland wieder gefragt. Vorübergehend war sogar ein Friedlaenderscher Kommentar zur geplanten Bundes-RAO im Gespräch, aber die Vorbereitungsarbeiten für dieses Gesetz erwiesen sich als kompliziert und langwierig, so dass seine letzte Publikation sich auch nicht mit Standesrecht befasste, sondern mit „Rechtsanwälte(n) und Anwaltsprobleme(n) in der schönen Literatur“. [6] 

Kurz vor Erscheinen dieses Aufsatzes ist Max Friedlaender verstorben.

 Tillmann Krach

 

Max Friedlaender hat im Exil seine Lebenserinnerungen aufgeschrieben, eine gekürzte Fassung finden Sie hier.

Eine deutlich umfangreichere Version, mit zahlreichen Anmerkungen und einem biographischen Anhang versehen, ist jetzt als Buch erschienen: Bayerischer Anwaltverband (Hrsg.): Max Friedlaender – Lebenserinnerungen, bearbeitet und kommentiert von Tillmann Krach und Reinhard Weber, Stuttgart 2018

Hier geht es zu einer Bibliographie der bislang ermittelten Veröffentlichungen Max Friedlaenders.

 

[1] JW 1910, 97

[2] Vgl. etwa JW 1932, 81

[3] Zur Erinnerung der Wortlaut des § 28 RAO 1878: Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, seine Berufstätigkeit gewissenhaft auszuüben und durch sein Verhalten in Ausübung des Berufs sowie außerhalb desselben sich der Achtung würdig zu zeigen, die sein Beruf erfordert.

[4] Vgl. § 1 Abs.2 des Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft vom 7. April 1933, RGBl. S.188

[5] Vgl. ausführlich die online-Publikation des Verf. auf www.forhistiur.de/zitat/0503krach.htm

[6] AnwBl 1956, 149