...dass das Publicum ein Recht auf den Beirath rechtskundiger Sachwalter in freier Concurrenz hat...

(Rudolf Gneist, Freie Advocatur, 1867)

Rudolf Dix, Martin Drucker und Max Alsberg

LA Berlin F. Rep 290-02-06 Nr. 96/I

Auf diesem Foto sind drei Koryphäen der deutschen Anwaltschaft der Weimarer Zeit versammelt: Rudolf Dix (zweiter von links), Martin Drucker (der offenbar gerade die Richterbank anspricht) sowie Max Alsberg (in den Akten blätternd).

Ganz rechts sitzt der Herausgeber der Zeitschrift „Das Tagebuch“, Joseph Bornstein. Letzteres ist auch in der Buchpublikation (S. 53) zutreffend vermerkt, während die Angaben zum Prozessgegenstand und zu den (außer Alsberg) beteiligten Anwälten fehlen bzw. falsch sind. Es dürfte sich nicht um das Verfahren wegen Beleidigung des Reichsanwalts Paul Jorns handeln, denn eindeutig ist Rudolf Dix (und nicht Wolfgang Heine) zu erkennen. Die erwähnte Anwaltsphalanx deutet vielmehr darauf hin, dass hier die Beleidigungsklage des früheren Chefredakteurs der Vossischen Zeitung Georg Bernhard (http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Bernhard) gegen Franz Ullstein und Joseph Bornstein verhandelt wurde (ob es sich bei der Person links neben Bornstein um Franz Ullstein handelt, konnte leider bislang nicht verifiziert werden).

Die Hintergründe dieses Prozesses sind zu komplex, um hier referiert zu werden (vgl. ausführlich Curt Riess in seiner Alsberg-Biographie „Der Mann in der schwarzen Robe“ S. 231 ff, aus der im folgenden auch zitiert wird). Auslöser der Beleidigungsklage war jedenfalls ein Aufsatz von Bornstein im Tagebuch, betitelt „Der Ullstein-Roman“, in dem auch Bernhard wegen seines Verhaltens gegenüber Franz Ullstein (und dessen Ehefrau Rosie) heftig kritisiert wurde. Er hatte sich an einer von Franz’ Brüdern (Leopold Ullstein hatte fünf Söhne) initiierten Kampagne beteiligt, deren Ziel es war, die junge Ehefrau von Franz als französische Spionin zu inkriminieren und damit Franz aus der Verlagsführung herauszudrängen, der – nach Meinung Bernhards und der Brüder – zu stark unter dem Einfluss seiner glamourösen Gattin stand. Curt Riess:

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Am 18. Januar (1930) wurde dann von den Brüdern die Forderung an Franz gestellt, sich von seiner Frau scheiden zu lassen. Zwei Tage später schon verlangte Dr. Alsberg vom Aufsichtsrat, ihm das angebliche Spionagematerial zu unterbreiten. Erst dann sei sein Klient in der Lage, die erforderlichen Entschlüsse zu fassen. Er bekam nichts zu sehen. Stattdessen erfolgte am 28. Januar die fristlose Entlassung Franz Ullsteins. Und nun wurde es still um Franz. Nicht nur die Ullstein-Zeitungen schwiegen sich über ihren einstigen Chef aus, sondern die gesamte deutsche Presse. Es war zu einer Art Einvernehmen gekommen, die Sache totzuschweigen. (…) Nur dreimal wurde das Schweigen gebrochen. Die ersten beiden Male, als zwei übel beleumdete Berliner Wochenzeitungen, das „Kleine Journal“ und der „Herold“ von dem Ullsteinskandal berichteten. (…) Das dritte Mal wurde das Schweigen von der anderen Seite gebrochen. Das „Tagebuch“, eine seriöse politische Zeitschrift, herausgegeben von Leopold Schwarzschild … veröffentlichte den bemerkenswerten Aufsatz seines Mitarbeiters Joseph Bornstein, betitelt „Der Ullstein-Roman“. In dem Artikel wurde nun alles ziemlich deutlich gesagt – so wie Alsberg es gesagt hätte und später auch im Prozess sagte und es bestand wenig Zweifel daran, dass er das Material geliefert hatte. Franz Ullstein atmete auf. Endlich war der Bann gebrochen. (…)

Nun beging Bernhard die Dummheit seines Lebens. Er strengte eine Beleidigungsklage gegen Franz Ullstein und Joseph Bornstein an, wegen jenes Artikels im „Tagebuch“. Dies war ein Prozess, der sozusagen Hand und Fuß hatte. Als Verteidiger von Dr. Franz Ullstein und von Rosie, die zwar als Zeugin auftrat, aber im Grunde ja die Hauptangeklagte war, konnte er die Gegenseite zwingen, Farbe zu bekennen. (…)

Der Prozess Bernhard contra Dr. Franz Ullstein und Joseph Bornstein, in Wahrheit der Prozess des Hauses Ullstein gegen Franz und insbesondere gegen Rosie … fand erst zu Beginn des Jahres 1931 statt. (…)

Er endete für die Anklage als Desaster. Es konnte kein belastbares Beweismaterial vorgelegt werden und Rosie Ullstein hinterließ als Zeugin einen blendenden Eindruck. Alsberg hielt am 29. Januar 1931 sein sechsstündiges Schlussplädoyer. Ullstein und Bornstein wurden freigesprochen. Der Streit im Hause Ullstein wurde durch ein Schiedsgericht beigelegt, Franz wieder Mitglied des Aufsichtsrats.

 

Zu den Anwälten:

Biographische Angaben zu Alsberg und Dix finden sich bei dem Foto aus dem Schultheiß-Patzenhofer-Prozess.

Martin Drucker (1869 – 1947), Abiturient der Thomasschule (1889), Dr. jur., Rechtsanwalt (seit 1896) und Notar in Leipzig, Justizrat (1917)
Sohn des Leipziger Rechtsanwalts Oberjustizrat Dr. jur. Martin Drucker (1834-1913)
Vorsitz des Geschäftsausschusses des DAV zu GVG- und ZPO-Änderungen; Vorsitzender des Vorstandsausschusses des DAV zum Strafrecht und zur StPO
DAV-Vorstandsmitglied (Schriftführer) seit 1909; Präsident des DAV (1924-1932)
Drucker wurde 1932 per Akklamation zum Ehrenpräsidenten des DAV gewählt.

Drucker trat in die angesehene Kanzlei seines Vaters ein, die u. a. auf Markenrecht spezialisiert war. Gemeinsam mit seinen Sozien Eckstein und Cerf wurde die Praxis bald eine der angesehensten Deutschlands. Die Spezialisierungen lagen weiter im Marken- und Urheberrecht, aber immer stärker auch im Straf- und allgemeinen Wirtschaftsrecht. Drucker vertrat führende Unternehmen Leipzig im Vorstand oder auch im Aufsichtsrat.

1933 wurde Drucker wegen seiner jüdischen Herkunft das Notariat entzogen. Es folgte ein ehrengerichtliches Verfahren, welches seinen Ausschluss aus der Anwaltschaft zum Ziel hatte. Das entsprechende Urteil des Ehrengerichts der Sächsischen Anwaltskammer wurde durch den Ehrengerichtshof aber aufgehoben. Drucker vertrat weiter mutig Verfolgte des NS-Regimes und war deshalb permanenten Repressalien ausgesetzt.

1944 erfolgte schließlich seine Versetzung in den „Ruhestand“. Als ein nationalsozialistischer Anwalt seine Verbringung ins Konzentrationslager betreibt flieht er nach Jena. Als die Amerikaner in Leipzig einmarschieren wollen sie Drucker als Oberbürgermeister einsetzen. Das scheitert an seiner Abwesenheit. Nach Rückkehr im Juni 1945 wird er sofort wieder zur Anwaltschaft zugelassen. Drucker übernimmt im hohen Alter die Führung der Leipziger Anwälte und betreibt in dieser Position die Entnazifizierung der Anwaltschaft.

Bis zu seinem Tode ist Drucker unermüdlich für den Berufsstand und seine wieder zahlreichen Mandanten tätig (Hubert Lang, Text von dieser Homepage: https://www.anwaltsgeschichte.de/fotogalerie/dav_biographie.html)