...dass das Publicum ein Recht auf den Beirath rechtskundiger Sachwalter in freier Concurrenz hat...

(Rudolf Gneist, Freie Advocatur, 1867)

Max Alsberg und Rudolf Dix

LA Berlin F Rep. 290-02-06 Nr. 267/1

Ein Bild aus dem Schultheiß-Patzenhofer-Prozess. Den Angaben in der Bildunterschrift (S.92) zufolge handelt es sich bei der stehenden Person um Ludwig Katzenellenbogen, den ehemaligen Generaldirektor der gleichnamigen Brauerei. In der vorderen Reihe die Vorstandsmitglieder Walter Sobernheim (2. v. l.) und Erich Prenzlin (rechts daneben). Bei der Person in Robe ganz rechts könnte es sich um den Hausanwalt der Firma Adolf Asch handeln. Hinter ihm sitzen Max Alsberg und – halb verdeckt – Rudolf Dix

Dieser Prozess hatte mehrere außerjuristische Facetten, die einen guten Teil seiner Brisanz ausmachten: Es ging nicht nur um angebliche Wirtschaftsverbrechen in einer Phase ökonomischer Krisen, der Hauptangeklagte war zudem Jude, und er war verheiratet mit einer der prominentesten Schauspielerinnen der Weimarer Zeit, Tilla Durieux. Bei Curt Riess, dem Alsberg-Biographen („Der Mann in der Schwarzen Robe“), liest man hierzu folgendes:

Ludwig Katzenellenbogen kannte man schon vor Kriegsbeginn. Nach dem Krieg, in den Konjunkturjahren, besaß er nicht nur Sprit-, sondern auch Zementfabriken, Glas- und Maschinenwerke, Mühlen, Bierbrauereien und Hefefabriken. Er fasste sie in einer Interessengemeinschaft unter dem Namen „Ostwerke“ zusammen, die später auf die altbekannte Firma Schultheiß-Patzenhofer ausgedehnt wurde. (…) Es kam das Jahr 1929 mit dem New Yorker Börsenzusammenbruch, es begann die Wirtschaftskrise, die viele, auch Katzenellenbogen, für vorübergehend hielten. Wie andere Aktien, sanken auch die von Schultheiß-Patzenhofer, und Katzenellenbogen sann darauf, ihren Kurs zu verbessern. Nun begann ein ungemein kompliziertes Geschäft. Erst kam es zu einer Abmachung mit der Commerz- und Privatbank, die für rund 3 Millionen Dollar Schultheiß-Ostwerke-Aktien kaufen sollte. Zu gegebener Zeit würde der Konzern die Aktien wieder zurückkaufen. Der Stützungsaktion war kein Erfolg beschieden. Infolgedessen wurde das gleiche noch einmal wiederholt. Diesmal war es die Darmstädter- und Nationalbank unter Leitung von Jakob Goldschmidt, die sich zu den Käufen bereit fand …. (…) Im November 1930 waren rund 36 Millionen Mark verloren. Denn die Kurse waren nicht gestiegen, sondern sanken weiter. Durch einen Zufall entdeckte einer der Generaldirektoren die Geschichte. Er trommelte das gesamte Generaldirektorium zusammen. Alle atmeten auf, als Katzenellenbogen, der einzige von ihnen, der wirklich etwas von solchen Dingen verstand, versprach, es werde bis zur nächsten Bilanz alles in Ordnung sein. Und alles wäre in Ordnung gekommen, wenn die Kurse nicht weiterhin nachgegeben hätten, was Katzenellenbogen im September 1931 zu der Erklärung zwang, er könne für die Schulden nicht mehr aufkommen.

Alsberg sollte später im Prozess ausführen, dass Katzenellenbogen nichts getan, die anderen Generaldirektoren, die natürlich mit angeklagt werden mussten, nichts mitgemacht hatten, was nicht in der Praxis großer und gediegener Gesellschaften gang und gäbe war, nämlich Tochtergesellschaften zu gründen, nicht zuletzt, um die Konkurrenz zu verwirren, aber auch um gewisse Steuervorteile zu erlangen, dass Tausende von Buchprüfern und Anwälten dergleichen seit vielen Jahren für durchaus möglich, ja, unter Umständen ratsam gehalten hätten. (…) Alsberg verteidigte bewusst den Kaufmann Ludwig Katzenellenbogen, nicht das politische Opfer. (…) Sehr bald wurde klar, was Alsberg im ersten Moment begriffen hatte: Man suchte nach einem Sündenbock und hatte ihn gefunden. Irgendwie musste die Regierung ja beweisen, dass die wirtschaftliche Krise nicht ihre Schuld war – sie war es übrigens nicht, es herrschte ja eine Weltwirtschaftskrise -, sondern die Schuld irgendwelcher Bösewichte, wie etwa die des Katzenellenbogen.

Im Gegensatz zu Alsberg versuchte Dr. Dix die politischen Hintergründe des Prozesses klarzulegen. Immerhin hatte der Reichskanzler Dr. Brüning zwei, drei Tage vor der Verhaftung Katzenellenbogens eine Rede gehalten, in der er unziemlicher Weise die Notwendigkeit besonders scharfer Ahndung seiner Taten forderte, obwohl um diese Zeit noch niemand den komplizierten Tatbestand kennen konnte. Auch der Reichsfinanzminister hatte noch vor dem Prozess sich dafür eingesetzt, dass jeder einzusperren sei, der in unverantwortlicher Weise auf dem Rücken anderer wirtschafte. Er hatte ausdrücklich den Fall Katzenellenbogen erwähnt. (…) Der Hausanwalt, Dr. Asch, legte dar, dass dem Unternehmen Schultheiß-Patzenhofer kein Schaden entstanden war und dass damit der Vorwurf der Untreue hinfällig sei. (…) Alsberg ergriff am 3. März das Wort zu einem seiner bedeutendsten Plädoyers.

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Die Wirtschaft ist nun einmal gegen Katzenellenbogen gelaufen. Heute ist es leicht zu sagen, dass die Stützungskäufe im Endeffekt nicht angebracht waren. Man darf nicht das Wort vergessen, dass Jakob Goldschmidt im Gerichtssaal sprach: Dass zwischen der damaligen Zeit und der unsrigen nicht 2 Jahre, sondern eine ganze Welt liegt. (…) Was die Angeklagten taten, taten sie lediglich im Interesse des Unternehmens zur Vermeidung einer Katastrophe, die nicht durch sie, sondern durch das Weltwirtschaftsproblem hervorgerufen ist. Das System der Stützungskäufe hat Schiffbruch erlitten. Es ist ad absurdum geführt. Aber strafrechtlich ist es unangreifbar.

Zitat aus dem Plädoyer Max Alsbergs (nach Rieß, Seite 289)

Die Wirtschaft ist nun einmal gegen Katzenellenbogen gelaufen. Heute ist es leicht zu sagen, dass die Stützungskäufe im Endeffekt nicht angebracht waren. Man darf nicht das Wort vergessen, dass Jakob Goldschmidt im Gerichtssaal sprach: Dass zwischen der damaligen Zeit und der unsrigen nicht 2 Jahre, sondern eine ganze Welt liegt. (…) Was die Angeklagten taten, taten sie lediglich im Interesse des Unternehmens zur Vermeidung einer Katastrophe, die nicht durch sie, sondern durch das Weltwirtschaftsproblem hervorgerufen ist. Das System der Stützungskäufe hat Schiffbruch erlitten. Es ist ad absurdum geführt. Aber strafrechtlich ist es unangreifbar.

Die Berliner Presse berichtete ausführlich über den Prozessverlauf und insbesondere die Plädoyers. Das Urteil wurde am 19. März verkündet: Freispruch für drei Generaldirektoren, eine geringfügige Geldstrafe für den vierten und drei Monate Gefängnis für Katzenellenbogen, die durch die wesentlich längere Untersuchungshaft verbüßt waren. Er wurde sofort als Generaldirektor fristlos entlassen. In der Vossischen Zeitung vom 20. März 1932 zog Erich Eyck („Der Jurist sagt“) Bilanz.

Die Schilderung von Curt Riess ist durch die biographische Perspektive bestimmt und berücksichtigt naturgemäß weder die wirtschaftlichen noch die juristischen Implikationen dieses Falles in ausreichendem Maße. Den wirtschaftsgeschichtlichen Aspekt beleuchtet Martin Fiedlers Aufsatz „Netzwerke des Vertrauens: Zwei Fallbeispiele aus der deutschen Wirtschaftselite“ (in: Dieter Ziegler, Großbürger und Unternehmer, Die deutsche Wirtschaftsleite im 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, S. 93), Auszüge nachzulesen bei http://books.google.de/books?id=4ceJ_WbMSOMC&pg=PA99#v=onepage&q&f=false.

Zur Biographie Katzenellenbogens http://de.wikipedia.org/wiki/Ludwig_Katzenellenbogen. Er flüchtete nach der „Machtergreifung“ der Nazis aus Deutschland, wurde 1941 in Saloniki von der Gestapo verhaftet und starb 1944 im Jüdischen Krankenhaus in Berlin.

Zeitungsberichte:

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Alsberg Plädoyer im Schultheiß-Prozess 1

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Alsberg Plädoyer im Schultheiß-Prozess 2

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Dix im Schultheiß-Prozess

Zu den Anwälten:

Max Alsberg (1877-1933) gehörte zu den bekanntesten Strafverteidigern der 20er und 30er Jahre. Bei http://de.wikipedia.org/wiki/Max_Alsberg findet man einen kurzen Lebenslauf und Nachweise zu einem Teil seiner Veröffentlichungen sowie weiterführende Links. Ein zeitgenössisches Porträt ist auf dieser Homepage unter https://www.anwaltsgeschichte.de/kriminal-magazin/kriminal-magazin.html zu finden. Auch heute noch bemüht man sich um das juristische Erbe Max Alsbergs, vgl. www.alsberg.de

Adolf Asch (1881-1972) war RA und Notar in Berlin (Tauentzienstraße 11) mit zahlreichen Ehrenämtern. Er konnte als „Frontkämpfer“ im 1. Weltkrieg auch nach 1933 weiter praktizieren, verlor allerdings 1935 das Notariat. Im Zuge des Novemberpogroms wurde er 1938 kurzzeitig im KZ Sachsenhausen interniert und floh anfangs 1939 nach England, er starb 1972 in London (nach: Simone Ladwig-Winters, Anwalt ohne Recht, 2. Aufl. 2007).

Rudolf Dix (1884-1952) war Rechtsanwalt in Berlin, Mitglied des dortigen Kammervorstandes, seit April 1931 im Vorstand des DAV und ein Jahr später dessen Präsident bis zu seiner Ablösung durch den (vorübergehend) von den Nazis protegierten Hermann Voß im Mai 1933. Dix versuchte im Frühjahr 1933 vergeblich, die Selbständigkeit des DAV zu retten, indem er den neuen Machthabern gewisse Zugeständnisse machte – ob er hierbei zu weit gegangen ist, bleibt eine offene Frage. Während der NS-Zeit Verteidiger von Regimegegnern, in den Nürnberger Prozessen Verteidiger von Hjalmar Schacht.