...dass das Publicum ein Recht auf den Beirath rechtskundiger Sachwalter in freier Concurrenz hat...

(Rudolf Gneist, Freie Advocatur, 1867)

„Anwälte und ihre Geschichte“

Buchvorstellung auf dem Deutschen Anwaltstag in Straßburg [1]

„Man müsste den Ostler [2] überarbeiten und neu herausgeben!“ war der Vorschlag des Strafverteidigers Gerhard Jungfer vor mehr als 10 Jahren – und damit begannen die Überlegungen innerhalb der Anwaltschaft, wie und mit wessen Hilfe man es bewerkstelligen könnte, nach 30 Jahren wieder einmal einen Gesamtüberblick zur Geschichte unseres Berufsstandes auf den Buchmarkt zu bringen.

Das FORUM ANWALTSGESCHICHTE hat diese Initiative von Beginn an unterstützt und bei einem Treffen mit dem damaligen Präsidenten des DAV im Sommer 2004 versprach Hartmut Kilger, mit Prof. Hinrich Rüping einen „Editionsplan“ zu erörtern – zunächst war an die Herausgabe einer mehrbändigen Reihe gedacht. Jedenfalls war man sich einig, dass ein Reprint „des Ostler“ oder auch dessen ergänzte Neuausgabe nicht sinnvoll wären, sondern der Versuch unternommen werden müsste, ein Werk zu schaffen, das wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, auch wenn dies bedeuten würde, dass es sich nicht wiederum um ein „Geschichtsbuch von Anwälten für Anwälte“ (wie die Standardwerke von Weißler [3] und Ostler, aber auch das zum „Standardwerk“ prädestinierte Werk von Busse [4]) handeln würde. Dies hat so mancher bedauert, dennoch war es letztlich die richtige Entscheidung, ein derart ambitioniertes Projekt in die Hände eines wissenschaftlichen Beirats zu legen, und es ist umso erfreulicher, dass zahlreiche der insgesamt 53 Beiträge nicht von Wissenschaftlern, sondern tatsächlich von Anwälten und Anwältinnen verfasst wurden.

Der offizielle Start des Vorhabens war im Juni 2006, als der Vorstand des DAV beschloss, fünf Jahre später – zum 140. Vereinsgeburtstag – einen Themenband über die Geschichte der deutschen Anwaltschaft vorzulegen und zu diesem Zweck den „Verein Moderne Anwaltsgeschichte“ gründete. Die wissenschaftliche „Aufsicht“ und Koordination übernahmen neben Prof. Rüping Prof. Barbara Dölemeyer und RA Prof. Norbert Gross. Am 2. Juni 2011 wurde das Buch im Rahmen einer kleinen Veranstaltung auf dem DAT in Straßburg vorgestellt. Es ist ein in mehrfacher Hinsicht schwergewichtiges Werk geworden: Auf 1221 Seiten beleuchten 56 Autoren und Autorinnen die unterschiedlichsten Facetten der Berufs- und Standesgeschichte.

Die großen Kapitel heißen „Epochen“, „Entwicklungen“ und „Internationales“. Die historische Chronologie beginnt im Mittelalter und endet bei der Zusammenführung der Anwaltschaft aus Ost und West, bei den „Entwicklungen“ geht es schwerpunktmäßig um die anwaltliche Selbstverwaltung, aber auch die Ausprägung bestimmter beruflicher Spezialisierungen, und der Blick in andere europäische Länder schließlich entfernt sich noch mehr vom ursprünglichen Konzept, eine (deutsche) Anwaltsgeschichte zu präsentieren.

Es dürfte für die Herausgeber nicht einfach gewesen sein, die Gewichte richtig zu verteilen, und sicherlich werden viele Leser(innen) das eine Thema schmerzlich vermissen, während sie ein anderes überbewertet oder gar deplatziert finden. Eine stärkere Beschränkung hätte die Handlichkeit des Bandes erhöht und seinen exorbitanten Preis (144 €) reduziert. Andererseits macht die Breite der Themenpalette gerade den Reiz dieses „Wälzers“ aus, und als Leser kann man sich diejenigen Kapitel (zuerst) vornehmen, für die man sich besonders interessiert – es ist für jede(n) etwas dabei, wie die folgende willkürliche Auswahl zeigt: Liberalismus und Anwaltschaft im 19. Jahrhundert, Die Zulassung von Frauen zur Anwaltschaft, Die Freiheit der Advokatur im politischen Umbruch nach 1945, Verteidigung in den RAF-Prozessen – Die Sicht des Verteidigers und die Sicht des Anklägers, Vom Generalisten zum Fachanwalt, Internationalisierung und Europäisierung der deutschen Anwaltschaft.

Als einer der Autoren will und kann ich das vorgestellte Werk nicht rezensieren. Möge sich jede(r) selbst ein Bild machen! Das Buch hat es in jedem Fall verdient, nicht nur dekorativ im Regal zu stehen, sondern auch gelesen zu werden!

 

Veröffentlicht im Newsletter des Forum Justizgeschichte August 2011

 


 

[1] Deutscher Anwaltverein (Hrsg.), Anwälte und ihre Geschichte, Tübingen 2011

[2] Fritz Ostler, Die deutschen Rechtsanwälte 1871-1971, 2. durchgesehene Auflage Essen 1982

[3] Adolf  Weißler, Geschichte der Rechtsanwaltschaft, Leipzig 1905, Nachdruck Frankfurt 1967

[4] Felix Busse, Deutsche Anwälte, Geschichte der deutschen Anwaltschaft 1945-2009, Berlin 2010